„Meine 24 Stunden mit einem magischen Motorrad“ - Für Hans
Hutten
Der ganz persönliche Tatsachenbericht über das erste
Langstreckenrennen der Firma
LAVERDA (Breganze). Zufällig zeitgleich (12/02)
geschrieben zur Neugründung der
Marke LAVERDA und der Vorstellung des Topmodells:
LAVERDA 1000SFC -„PHOENIX“
(„Phoenix“
von CdeC)
Werksteams: Hans
Hutten (NL)/Dieter Reimann (D)
als Team “A“ - Startnummer 29
Team “B” : Finetti/Ritzitelli - Team
“C”: Massimo
Laverda/Augusto Brettoni - (Alle “I”)
Motorrad: LAVERDA 750 S Rennversion (Vorgängermodell der
750SFC)
Chefkonstrukteur: Luciano
Zen - Chefmechaniker: Nino Caretta
Rennstrecke: OSS/Niederlande, Länge 3.1 km, die
Gerade 1.2 km - der Rest Kurven
Durchschnittsgeschwindigkeit ca. 125 km/h. Schnellste
Runden ca. 145km/h
Gefahrene Runden: knapp 1.000. Gefahrene Kilometer:
ca. 2.900
Zuschauer: ca. 64.000.
Ich liebe es, auf verbotenen Meeren zu fahren
und an barbarischen Küsten zu landen.
Melville – MOBY DICK
Dieser Bericht ist
unter dem Titel GRENZERFAHRUNG in der führenden Publikation der „ legendären Motorräder“, dem Magazin KLASSIK MOTORRAD – MO Medien Verlag – Stuttgart in
Heft 3 erschienen. Auf 8 Seiten mit 13 Fotobeiträgen.
Das Heft ist
voraussichtlich bis September 2003 zu beziehen.
Der MO-Verlag ist –
mit 8 Titeln – Deutschlands größter Motorradverlag
„You must understand this, I
have wife and children.”
(“Ihr müßt das
verstehen, ich hab Frau und Kinder.”)
Das
C-Team machte also „Siesta“ um Mitternacht. Sie hatten recht, aber wir - Hans
Hutten und ich - wollten uns hier als offizielle Werkspiloten qualifizieren und
eine Rennpause paßte nicht recht zu diesem Plan.
Ich hörte Massimos Worte nur
beiläufig, weil ich darüber nachdachte, was ich diesen unfahrbaren Bedingungen
entgegenzusetzen hatte.
Wie durch einen Feenschleier waren
wir schon eine Weile von der realen Welt abgegrenzt.
Die Sicht ging gegen Null, und das bei fast 200 km/h auf der Start- und
Zielgeraden.
Hans hatte übernommen und ich
konnte wieder mal eine „Stunde“ Pause machen, die keine war, denn erst einmal
wollten die Mechaniker alles mögliche wissen. Dann mußte ich Müsli und Orangen
essen („You know, this is good for your brain“ – „Das ist gut fürs Gehirn, weißt du!“), dann „mußte ich mal“. Dann die Uhr ablesen: 15 Minuten
„Pause“ waren schon verloren. In den Wohnwagen gehen, die Combi von den
Schultern ziehen lassen, hinlegen - 20 Minuten weg!
Tatsächlich war es meist so, daß
der jeweilige Fahrer schon nach etwa 45 Minuten an die Box kam.
Entweder war der Tank leer, die
Kupplung oder die Bremsen wurden nachgestellt, die Kette gespannt, oder wieder
einmal war das Rücklichtbirnchen durchgebrannt (und die Rennleitung zeigte dann
nach zwei bis drei Runden die schwarze Flagge), oder die Kupplungshand hatte
einen Krampf und war minutenlang ausgefallen. Oder es gab etwas Anderes. Oder
alles auf einmal.
Der
Nebel war grausam! Noch nie zuvor war ich bei zwei Metern Sicht mit dem
Motorrad unterwegs gewesen - auch nicht auf der Autobahn. Und das hier waren
„DE 24 UUR VAN OSS“, auf der nur 3.1 Kilometer langen Rennstrecke und hier
würde sich entscheiden, ob wir für das folgende Jahr einen Vertrag als
Werksfahrer erhalten würden.
Der
Kurs bestand aus einer Geraden von ca. 1,2 Kilometern und der Rest aus
11
Kurven mit schönen, aber massiven Bäumen. Manche Stämme an den Kurvenausgängen
wärmten sich an einem Strohballen, denn es war auch noch kühl geworden.
Bis zu diesem Tag hatte ich nirgendwo
lernen müssen, nach dem Gehör zu fahren und noch weniger hatte ich beim Fahren
abgezählt:
„Eins, zwei, drei, ist die Kurve schon
vorbei?“
Nein,
ganz so war das nicht, aber jetzt beim Erinnern und Aufschreiben muß ich doch
tatsächlich grinsen. - Damals war das nicht der Fall!
Die
Strecke war unkonventionell angelegt. Auf der langen Start- und Zielgeraden gab
es keine Bäume, aber Laternenmasten. Der folgende Rechtsknick ein echtes
Mistvieh! Die enge Kurve machte zu, dann folgten Bäume ganz dicht an der Straße
und danach wieder drei verzwickte Kringel. Noch mal rechts herum fast genauso
schlecht, aber nach diesem Bogen ging es im Schlangenritt weiter, mit echter
Laverda-Beschleunigung bis in den 5. Gang in drei oder vier langgezogenen
welligen Schwüngen in einer regelrechten Allee bis zu der Rechtsecke, die ich
vor dem Nebeleinbruch mit driftendem Vorder- und Hinterrad durchfuhr.
Diesen
Fahrstil hatte ich mir erst in den abgelaufenen Stunden sauber antrainiert,
doch er funktionierte jetzt nicht mehr. Weitere Tricks hatte ich in einer
Wundertüte gefunden, die ich irgendwann unterwegs geöffnet hatte.
Der
Motor klang zwischen den Bäumen - also in der „Allee“ auf der Rückseite des
Kurses - anders. Wenn dann das „Echo“ dort verblaßte, waren dies die baumfreien
letzten Meter. Dann zählte ich nur schnell bis drei und bremste hart um noch
die folgende Rechtskurve zu erwischen. Korrekturen waren im Hellen durch den
Driftwinkel möglich. Aber jetzt bei „Sicht Null“ ließ ich mir etwas Neues
einfallen:
Ich legte das Motorrad einfach auf
die Seite und eierte aus dem Eck, bis ich querab die ersten Strohballen der
Start- und Zielgeraden erahnen konnte.
Es ist unglaublich, wie eng man sich mit einer Kurve befreunden kann,
wenn man ihr zum hundertsten Mal begegnet ist.
Dann wieder Vollgas bis in den 5.
Gang. Drehzahlmesser ablesen und bei 7.000 anfangen zu zählen - jetzt langsamer
- eins, zwei, drei, vier, und Vollbremsung. Das war der üble Rechtsknick nach
der Geraden, und wie so etwas möglich war, weiß ich auch nicht mehr, aber so,
oder in etwa so, habe ich es gemacht, und es paßte immer irgendwie, denn jede
Kurve, jeder Baum, die Wellen und Flecken der Straße, der Ton des Echos der
Bäume und Masten, die Position der Strohballen, die Geräusche der Generatoren,
jedes Bremsen, Schalten, jeder Drehwinkel des Handgelenks am Gasgriff – alles
hatte sich in den vergangenen Stunden in meinen Nervenbahnen gespeichert.
Deutlich eingekerbt, wie in eine Schallplatte gepreßt, deren eine Rille ich
jetzt immer und immer wieder abhörte.
Massimo Laverda hatte sich also
seine Siesta wirklich verdient. Auch schon allein deshalb, weil er mir noch vor
dem Start am Samstag dieses blödsinnige Zeug erzählt hatte:
„I have to tell you something! Can I
speak from man to man?”
“Yes”
“You have never been racing long distance before, have you?”
“No”
“Listen and don’t you forget! – Well, this is probably going to be a
tough race and listen - you sure know how it feels good when you go to bed with
your girl!
(Ich fühlte mich unangenehm -
>Was soll denn das werden?<)
You know, in the night all alone on the motorcycle, you will feel like
worn out to your bones - and you want to stop it. You don’t like it anymore at
all, and when you really wish to give up and your are only thinking about a way
to end all this and you have the desire to crash the motorcycle into something –
REMEMBER MY WORDS! And REMEMBER that it will be only A FEW HOURS MORE TO
BE WITH YOUR GIRL AGAIN and then you
go to bed with her. –
You know? –
You must think this ALL THE TIME then and not give up!
Will you really remember this?”
- - - “Yes!“ - ??
(„Ich möchte dir was sagen! Kann ich
von Mann zu Mann sprechen?“
„Ja“
„Du hast noch nie ein
Langstreckenrennen gefahren, oder?“
„Nein“
„Hör zu, und vergiß das nicht! – Also,
das wird vielleicht eine harte Sache, und hör zu – du weißt bestimmt, wie gut
du dich fühlst, wenn du mit deinem Mädchen ins Bett
gehst!
[Ich fühlte mich unangenehm – >Was
soll denn das werden?<]
Weißt du, in der Nacht, ganz allein auf
dem Motorrad - du fühlst dich ausgepreßt bis auf die Knochen – und du willst
aufhören. Du hast keine Lust mehr, überhaupt keine mehr, und wenn du nur noch
daran denkst, wie du ein Ende machen kannst und du nur noch den einen Wunsch
hast, das Motorrad irgendwo reinzuballern – DENK AN MEINE WORTE und DENK DARAN, DASS ES
NUR NOCH EIN PAAR STUNDEN SIND, BIS DU WIEDER
BEI DEINEM MÄDCHEN BIST - und dann kannst du mit ihr ins Bett.
Verstehst du? – Du mußt die GANZE ZEIT NUR
DARAN denken - und nicht aufgeben!
Wirst du wirklich daran denken?“ - - -
„Ja!“ - ??)
Seit Stunden fuhr ich nun schon
als Roboter. Irgendwann hatte „ein anderer“ übernommen und ich wurde irgendwie
von irgendwem ferngesteuert.
Das wäre ja ganz komfortabel
gewesen ohne die Kopfschmerzen.
Unsinn Kopfschmerzen! Mein Gehirn
war in pulsierender Bewegung. Erst zog es sich zusammen und mein Sehvermögen
reichte nicht einmal mehr aus, die ein-zwei Meter zu sehen - ich schloß
auch immer mal wieder die Augen, weil dann scheinbar der Schmerz einen Moment nachließ
- dann wieder drückte es auf die Stirnknochen und die Augen wollten
heraustreten.
Das war wohl auf die unendliche Erschöpfung, das immerwährende harte
Beschleunigen und Bremsen und die zermalmenden Vibrationen des Epizentrums
zurückzuführen.
Aber darüber dachte ich jetzt
nicht nach. Ich schaute nur voller Sehnsucht auf die Bäume, die am Ende jedes
geraden Stücks meine Referenzpunkte in allerletzter Sekunde waren. Ich würde
ewig so weiterfahren müssen, auf immer und ewig, mein ganzes Leben lang würde
das so gehen, und - ich wollte das nicht mehr!
Aufhören und Hans im Stich
lassen, war ja undenkbar, aber wenn ich stürzen würde, wäre das sicher keine
Schande. Wie sollten sie je erfahren, daß ich „aufgegeben“ hatte? Nein, ich
müßte mich nicht schämen, sie würden sogar um mich trauern...
Da fielen mir Massimos Worte
wieder ein.
Angefangen
hatte alles weniger dramatisch, ja, sogar mit einigen skurrilen Einlagen.
Etwa
ein Jahr vor diesem Rennen war ich nach Holland gefahren, um mehr
Startgelegenheiten zu bekommen. Den Tip hatte ich von Walter Sommer, einem
damals bekannten Rennfahrer aus Köln. Von ihm hatte ich auch gelernt, sofort,
nachdem ich es in den Nachrichten gehört hatte, zu den Absturzstellen unserer
wunderbaren „Starfighter“ (US-Kampfjet
der „Bundeswehr“) zu rasen. Denn wenn die wieder einmal, nicht zu
weit von Köln entfernt, in irgendeinem Acker steckten, konnten wir dort in den
Feldern verstreut Titanstücke und Fetzen von Dural (hochfeste Alu-Legierung) finden. Meist führten uns die
Dorfkinder hin.
Phantastische
Materialien, um daraus Radachsen drehen zu lassen und Motorhalteplatten zu
machen. Alles sehr viel stärker und leichter als die Serienteile.
Walter
Sommer hatte mir auch seine Empfehlung an Hans Hutten mitgegeben, einem Freund
von ihm.
Ich
stellte mich also eines Tages bei Hans vor. Vor dem Rennen in Rosmalen (bei s’Hertogenbosch) war das.
Das wurde dann auch mein erstes Rennen in den Niederlanden und mein erster Sieg
dort.
Vielleicht
war das kein besonders glückliches Erlebnis für Hans Hutten gewesen, dem
holländischen Meister der 500ccm-Klasse, auf seiner Norton.
Er,
der Sieggewohnte, wurde Zweiter hinter so etwas wie einem „Neuling“. Denn
diesen Eindruck von mir konnte er haben nach meinen vielen Fragen an ihn über
Kerzenwerte, der Übersetzung (Ritzel/Kettenrad), Reifenluftdruck, und so
weiter.
Aber
welch großes Herz hatte er später gezeigt, als er mich zu seinem Teamgefährten
für das 24 Stunden-Rennen gewählt hatte, gegen den ausdrücklichen Wunsch des
niederländischen Laverda-Importeurs Raymakers Import. Der hätte viel
lieber einen Holländer als zweiten Fahrer gesehen.
„Ich
fahre nur mit Dieter“, hatte Hans zu Jan Raymakers gesagt. „Mit ihm holen wir
den Sieg, und das ist wichtiger als zwei holländische Namen und irgendein Platz
hinten.“
Wie dankbar ich war, hatte ich
Hans dann leider nie gesagt, aber ich denke, er hat es gewußt. Seinen männlichen Großmut habe ich auch später
oft bemerkt. Nach „Rosmalen“ habe ich manches 500er-Rennen, das ich in Holland
gefahren bin, gewonnen, und er hat mir jedesmal herzlich gratuliert.
Raymakers hatte mich also
angerufen und zu den „24 Stunden von Oss“ eingeladen. Wir wohnten in einem
zauberhaften Hotel. Ich empfand das
so, es lag hinter Rosenhecken. Meine eigene Rennmaschine, eine
Honda CB 490 RS -meine Bezeichnung, sie
hatte größere Kolben von Mahle mit diesem Hubraum, tatsächlich nur 485 ccm - hatte
ich mir selbst in einem langen und kalten Winter aus einer serienmäßigen CB450
aufgebaut. Zum Glück verfügte ich über einen eigenen Werkstattraum. Der war
aber praktisch unbeheizbar.
Wenn der Bollerofen dann nach
stundenlangem Heizen den Raum auf minus 5 Grad Celsius gebracht hatte, empfand
ich das als warm - und arbeitete fast
jede Nacht einige Stunden an meiner Honda.
Und jetzt war ich hoffentlich (!) auf
dem Weg zum „WERKSPILOTEN“ samt Mechanikern, die für das Motorrad sorgen
würden!
Vorhin
habe ich von skurrilen Einlagen gesprochen. Davon gab es einige!
Die
„Laverdas“ - Massimo und Piero - sprachen mit uns nur Englisch. Hans sprach mit
mir Niederländisch, und davon verstanden sie kein Wort.
Wenn er mir zum Beispiel mit ganz
ernstem Gesicht Witze erzählte.
Die
erste Begegnung mit den Motorrädern verlief so - das muß am Mittwoch oder Donnerstag
vor dem „Monsterrennen“ gewesen sein:
„Okay,
wir können noch nicht auf der Rennstrecke trainieren, aber wir wüßten gerne,
wie ihr mit den Maschinen zurecht kommt.“
Hans
und ich wurden also mit dem Laverda-LKW und zwei Rennern in die Felder abseits von
Oss gefahren. Dort sollten wir auf den asphaltierten Feldwegen mit Lehm- und
Sandresten ein paar Runden unter Rennbedingungen drehen.
Das
wurde schrecklich!
Die
Wege waren viel zu schmal und mit dem für mich vollkommen ungewohnten langen
Radstand, dem hohen Schwerpunkt (voller
Tank), den giftigen Bremsen (Ceriani) und der langgestreckten
Sitzposition kam ich überhaupt nicht zurecht.
Vielleicht
hätte ich mich nach einiger Zeit noch an manches gewöhnt, aber etwa nach vier
oder fünf Runden stoppte uns Massimo Laverda bereits.
Siegesgewiß
und strahlend vor Stolz fragte er - glücklicherweise zuerst Hans - denn ich
hatte bei diesem „Eignungstest“ regelrechte Angst zu stürzen gehabt, und den
Schweiß auf der Stirn stehen:
„Tell me, what is your first
impression?“ – (“Sag mal,
was ist dein erster Eindruck?”)
Daß
Hans ein echter Profi war, wußte ich da noch nicht. Er sah auch ein wenig blaß
aus, schluckte aber nur einmal und antwortete genauso strahlend wie Massimo: „A
great machine, fantastic, no problems!“
(„Ein tolles Motorrad,
phantastisch, keine Probleme!“)
Das sagte ich dann auch so auf, war aber sehr
beunruhigt über meine eigene Unfähigkeit
(meine Honda wog sicher 60 kg weniger) und konnte es kaum erwarten, mit Hans zu
sprechen.
Unter
vier Augen habe ich ihn dann entsetzt gefragt:
„Du kannst wirklich damit fahren?“
Er
beruhigte mich ein wenig: „Wenn die anderen damit fahren können, lernen wir das
auch noch. Glaub’ mir, das ist Gewohnheitssache! Die Dinger sind einfach zu
schwer und die Sitzposition stimmt auch nicht, die sollen uns den Lenker
einfach etwas zurückstellen, was meinst du?“
Am
nächsten Tag ging es dann zur Sache! Laverda hatte es irgendwie geschafft, die
Strecke zu mieten. Das war nicht unfair, denn alle anderen 42 Teams kannten
sowohl die Rennstrecke als auch ihre Motorräder. Wir nicht!
Während
des Rennens sollten wir uns alle zu einer phantastischen Mannschaft entwickeln.
Das war aber jetzt noch nicht so. Es entstanden durch Sprachschwierigkeiten -
die Mechaniker sprachen kein Englisch (seltsam, während des Rennens konnten wir
uns immer gut verständigen. (Motore,
Freni, Ruote, Catena und Sospension
z.B. hatte ich schon in den Tagen vor dem Rennen aufgeschnappt.) –
Mißverständnisse, und vor allem durch die Mentalitätsunterschiede gab es
groteske Situationen.
Erst einmal wurden wir ausführlich über
die Rennstrategie des Hauses Laverda aufgeklärt, natürlich auf Englisch, was an
sich schon komisch genug war, denn das „italienische Englisch“ ist nicht ohne
Witz:
„Also
(well), wir haben natürlich die besten und schnellsten Maschinen. Es ist nicht
nötig, daß ihr zu riskant fahrt. Das ist überflüssig, die Motorräder leiden und
wenn ihr herunterfallt, verlieren wir zu viel Zeit.
GANZ
WICHTIG ist es, daß ihr sauber und gleichmäßig eure Runden dreht und die Motorräder
nicht zu hart bewegt.
Wenn wir im Rennen immer einen
Vorsprung von einigen Runden haben, reicht das! - Okay?
Wir
haben EINE AMPEL mitgebracht und die setzen wir heute ein. Besonders für das
neue Team! - Okay, zuerst fahren wir uns alle ein wenig warm und gewöhnen uns
an die Strecke. Dann kommt ihr zum Tanken, und danach versucht ihr so lange
SCHNELL ABER WEICH zu fahren, bis ihr auf der Ampel GRÜN seht.
Wir
stoppen natürlich die Zeiten aller Fahrer. Wenn wir also feststellen, daß ihr
schnell genug seid, ZEIGEN WIR EUCH G R Ü N!
Once
more: Wenn ihr euren Rhythmus gefunden habt und die Rundenzeiten auch stimmen,
halten wir die Teambezeichnung (wir hatten „A“) auf einer Tafel unter die Ampel
und zeigen GRÜN. Ihr könnt dann noch einige Runden so weiter fahren und dann
zur Box kommen. - Okay?“ - „Okay!“
„ACHTUNG!
Wenn wir euch aber Rot zeigen, dann heißt das, daß ihr die Motorräder zu sehr
belastet! Ihr müßt dann UNBEDINGT weicher fahren, so lange, bis wieder GRÜN
kommt. Verstanden?“ --- „Okay - verstanden!“
Natürlich hatte ich das verstanden und
auch ganz genau zugehört, denn das war ja scheinbar sehr wichtig, wenn es so
oft wiederholt wurde.
Nur hatte ich das Pech, als Erster auf
die Reise geschickt zu werden.
Die
Reputation von Hans stand außer Zweifel, und nur ich mußte noch zeigen, daß ich
würdig war, eine Laverda zu fahren. Jedenfalls empfand ich das so.
Tatsächlich
hatte Hans recht behalten! Nach vielleicht zwanzig Runden, möglicherweise auch
wegen des zurückgesetzten Lenkers, sah die Welt schon rosiger aus, und ich
begann nach der Ampel zu schielen, wenn meine 750S bei Start und Ziel
vorbeibrüllte.
„Nichts?
-- Na ja, wird schon werden.“
Ich
fuhr ein wenig schneller, und leichte Zweifel beschlichen mich:
„Ich
fahre doch gar nicht so schlecht! - Genau wie sie es gesagt haben, schnell und
weich.“ -
„Kein
Grün!“
Und
ich legte zu! In drei Phasen hintereinander und jedesmal mehrere Runden lang
und in jeder Runde schneller und schneller.
Zuerst
rutschte die Laverda beim Herausbeschleunigen aus den Kurven auf dem Hinterrad
weg. Das ging so einige Runden lang. - „Kein Grün!“
Dann
stand sie in den Kurven fast quer.
„WIEDER
NICHTS!“
Dann
begann meine Freundin - wir kannten uns jetzt schon gut, und ich fuhr sie so
wie eine gute Freundin - schnell und hart-zart, mit beiden Rädern zu driften.
„K
E I N G R Ü N!“
Jetzt begann ich ungewollt mit einer
Orgie:
„Ich bin ZU LANGSAM!!!“ - „Sie nehmen
mich nicht!“ - „Alles oder nichts!“
Daß
ich schon mehrmals an Brettoni oder Ritzitelli vorbeigefahren war, bemerkte ich
überhaupt nicht, wirklich! (Auch bei späteren Rennen und anderen fordernden Situationen
habe ich bemerkt: Irgend etwas ist in meinem Kopf so gepolt, daß es auf NOTFALL
schaltet, wenn ich große Angst habe oder unter großer Spannung stehe. Ich
fokussiere dann alle meine Sinne und Energien, um die Situation zu meistern und
sehe einfach nichts anderes mehr als nur meine Aufgabe.)
Die
Laverda war tatsächlich ein magisches Motorrad. In den nächsten Runden rutschte
sie - eigentlich kam mir das nun schon ganz normal vor - in allen engen Kurven
über beide Räder. Ich lernte schnell, das kontrolliert einzusetzen, war jetzt
aber total verzweifelt! - „WIEDER KEIN GRÜN!“
Auf einmal ging es mir richtig
schlecht!
Ich fuhr in Rennen meist 10-20% über
dem Limit. Das waren jetzt aber 50% über Limit. Mehr konnte ich nicht
herausquetschen, mehr ging einfach nicht! Die Bäume an den Kurvenausgängen
verfehlte ich in mehreren Runden nur knapp und baute mir eine heilige Wut auf.
„Ihr
könnt mich alle mal...! - Ich fahre gut!“
Hätte ich eine Keule gehabt, ich hätte
sie erschlagen! Statt dessen legte ich mir Janis Joplin auf: „Me & Bobby
McGee“ und begann zu singen.
(Dieses Lied kannte zu der Zeit - glaube ich - kaum jemand. Ich ging
damals bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die US-Kasernen. Es gab da immer
etwas zu sehen, gute Musik und meinen geliebten „Black Russian“-Drink für einen
halben Dollar im Casino. Ihre Songs hatte ich dort mal gehört und war sofort
elektrisiert.
LOVE YA, JANIS!)
„Schnell
und weich?“ – „Idioten!“ – Ich fuhr wie ein Verlorener. – „Zeigt mir Rot! –
Bitte! – Zeigt mir Rot!“
Ich
befand mich jetzt in der Endphase meines Wutkollers und begann gerade mit
„Piece Of My Heart“ („Stück von meinem Herzen“). Für einen
Augenblick dachte ich daran, SIE samt mir und dem Herzen von Janis am Ende der
Geraden einfach hinzutrümmern.
Zum
Glück begann der Motor gleich darauf auf einem Zylinder zu laufen.
„Motor
überdreht!“ - dachte ich. Es war aber nur der Tank leer.
Als
ich die Boxen erreichte, gab es dort immer noch kein GRÜN, aber auch kein ROT
für mich, denn die ganze Laverda-Mannschaft, die Mechaniker und die „Chefs“,
zogen mich vom Motorrad, hoben mich hoch und warfen mich tatsächlich in die
Luft. So freuten sie sich!
Ich
war die besten Zeiten gefahren und niemand konnte verstehen, daß ich mich nicht
auch freute und mitfeierte. Ich kam wie aus einer anderen Welt zurück und
fragte sie immer wieder und jeden einzeln, W A R U M sie mir kein Grün gezeigt
hatten. Sie wußten es nicht!
Und schienen den Sinn meiner Frage auch nicht zu
begreifen.
„Du
bist doch so toll gefahren und immer schneller und ganz sauber („ha-ha!“), was sollten wir
dir denn da zeigen?“
So
war das eben mit den Italienern! - Heute empfinde ich das als liebenswert.
Zurück
nun zu unserem Rennen: Wir waren die Schnellsten und führten von der ersten
Runde an. Eigentlich ist das ja der Sinn des Ganzen, doch wir saßen auch in der
Falle. Das stellten wir aber erst später fest.
Der
Start erfolgte am Samstagmittag. Nachdem wir schon eine Weile mit vollem
Einsatz gerollt waren und einen ordentlichen Vorsprung erreicht hatten, gab es
die ersten kleinen Probleme. Züge rissen, die Kette wurde gewechselt, die
Brems- und Kupplungshebel nachgestellt und gefettet usw. usw. Dadurch verloren
wir einige Zeit und eine „kleine“ Honda 350 (Henk Rekers/Jan van der Wal)
schlich sich langsam heran, denn die lief einfach nur mit Tankstopps und ohne
sonstige „Pausen“ immer weiter.
Das
Problem verschärfte sich und wurde irgendwann bedrohlich, als es anfing dunkel
zu werden.
Es
war Laverdas erster Langstreckenwettbewerb und es gab viel zu lernen. Besonders das Rücklicht verhielt sich nicht
kooperativ. Es hatte nur eine Birne und die wurde sehr oft durch die
Vibrationen gemeuchelt. Bei späteren Rennen haben sie drei Birnen eingebaut, glaube ich. Auch der Gaszug
war nur einfach verlegt, und wenn der riß, dauerte die Reparatur zu lange. An
andere Ausfälle erinnere ich mich nicht mehr so genau, aber es gab noch einige
Kleinigkeiten. Natürlich wurden auch ab und zu die Räder ausgetauscht, mit
neuen Reifen und Bremsen.
Wir
mußten also bei Halbzeit des Wettbewerbs (und
schon etwas aufgebraucht) immer schneller werden, um die Honda
abzuwehren.
Dann
begann kurz vor Mitternacht dieser teuflische Nebel heranzukriechen.
Die
Radiostation „KRO-RADIO“ übertrug das „Monsterrennen“
(„Monster-races“) live in ganz
Holland und sie hatten mir - vom Streckensprecher aufgeschnappt - den schönen
Namen: „Der deutsche Teufel“ („de Duitse
Duivel“) verliehen. Aber das war ich nicht wirklich, sonst hätte ich meinen
Chef gebeten, den Nebel etwas aufzulichten.
Manche Menschen sind überrascht, wenn
sie unmittelbar und ohne Vorwarnung die Grenzen zum Metaphysischen
überschreiten. Ich wurde in dieser
Nacht auch überrascht, denn ich hatte meine ersten Erlebnisse in dieser Richtung
und einiges empfinde ich heute noch als übersinnlich.
Ich
glaube, es gab auch eine Klasse bis 250ccm. Jedenfalls überholten wir bei
Tageslicht verschiedene Motorräder auf der Geraden mit erheblichem
Geschwindigkeitsunterschied. In der Nacht und besonders in der
Nacht&Nebel-Periode wurde der Unterschied an Speed deutlich größer.
Wir
waren sicher nicht besonders lebensmüde, hatten aber über so lange Zeit das
Rennen angeführt, daß es uns als doppelte Niederlage erschienen wäre, jetzt
noch besiegt zu werden. (Unserem
Rücklichtbirnchen war es scheinbar sowieso egal, wie schnell wir fuhren. Mal
hatte es nur fünf Runden lang Lust, dann leuchtete es wieder für fünfzig Runden).
Hans
und ich flogen tatsächlich nahezu außerirdisch durch die Nacht. Vor mir
erschienen zum Beispiel dauernd irgendwelche flackernden roten Kerzen, und wir
waren doch nicht in Amsterdam in „diesem Bezirk“. Auch heute noch denke ich manchmal darüber nach, wie wir wohl
hundertmal oder öfter an diesen beinahe „stehenden“ Motorädern vorbeigekommen
sind.
Hilfsweise
habe ich mir selbst ein paar „logische“ Erklärungen angeboten:
Wie
Hans es gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich bin in dem Nebel auf der Geraden
ganz scharf links gefahren, wohl in der Hoffnung, daß die langsameren Kollegen
rechts bleiben und mit dem Gedanken, vielleicht mal knapp neben der Strecke auf
dem schmalen Grasstreifen dahinhoppeln zu müssen.
Das
ist aber nie vorgekommen. Vorgekommen ist es jedoch mehrmals, wenn auch nur
einen Wimpernschlag lang, daß an meiner rechten Schulter ein massiver Schatten
auftauchte.
Die Zeitnehmer und Rundenzähler sind in
dieser Nebelnacht auch ganz schön umnebelt gewesen. Mal hörte
ich an den Boxen etwas von 13 Runden Vorsprung, dann waren es plötzlich nur 7
Runden, was wenig war bei der kurzen Strecke.
Jedenfalls
ist dann kurz vor dem Ende des Wettbewerbs und wieder bei strahlender Sonne, in
unserem Motor ein Ventil abgerissen. Ich erinnere mich daran genau! Es geschah,
als Hans fuhr, aber ebenso hätte es mir passieren können. Der tatsächlich
außerirdische (Chef-)Mechaniker Nino Caretta hatte noch den Motor aufgemacht,
aber es war zu viel zerstört.
Dieser
Mann war die Ruhe selbst, arbeitete allerdings wie ein besonders flinkes
Eichhörnchen.
Irgendwo
habe ich gelesen, daß alle drei Laverdas um etwa 8.30 Uhr morgens ausgefallen
sein sollen. – Das stimmt nicht!
Es
war Massimos Motorrad, das zu dieser Zeit nicht mehr wollte. Bei seiner
Maschine haben sie es aber geschafft, den Motor wieder in Gang zu bringen und
so erreichten sie noch den vierten Platz.
Wann
die zweite Laverda ausgefallen ist, weiß ich nicht mehr, aber „Unsere“ rannte
noch bis etwa zehn oder elf Uhr.
Tatsächlich
war bei Hans etwa um halb neun die Kette gerissen und er mußte unsere Freundin fast
um den ganzen Kurs schieben.
Das
hat uns vielleicht den Sieg gekostet. Ich meine, die Honda war durch diesen enormen
Zeitverlust vor uns geraten und bei der Aufholjagt geriet dann möglicherweise auch
mal der Drehzahlmesser in den roten Bereich.
Weil
es so kurz vor Rennende geschah, konnte Caretta die Reparatur nicht mehr
ausführen. Ich glaube mich zu erinnern, daß er Tränen in den Augen hatte.
Wir
standen da, Hans und ich, beide hoffnungslos deprimiert. Und wieder war es
Hans, der mich nach einer Weile aufzumuntern versuchte:
„Weißt
du was, wir machen das im nächsten Jahr klar!“
Und ich, der ich doch für Laverda
meine Seele verschenkt hatte und beinahe noch mehr für eine Karriere als
Werkspilot gegeben hätte, antwortete:
„Hans, das schaffe ich nicht noch einmal!“
Dennoch bin ich Laverda bis heute dankbar für dieses Rennen voller
phantastischer Erlebnisse und Ereignisse. Ich darf sagen: Diese 24 Stunden
haben mein weiteres Leben beeinflußt. Ich habe vor „Unmöglichem“ wenig Respekt
und bin später auch noch anderen Wundern begegnet.
Ein Jahr später holte sich die
Firma Laverda alle drei Podiumsplätze in Oss.
Als Auftaktsieg vieler
Laverda-Rennsporterfolge.
Mit Brettoni/Dossena auf dem
Ersten Platz. Hutten/van der Wal wurden Zweite und das dritte Team im Ziel waren
die Fahrer Somers/de Laat.
Hans Hutten/Piet van der Wal hatten bis kurz vor dem
Rennende mit vier Runden Vorsprung geführt. Durch einen Kettenriß verloren sie
sechs Runden und schafften es aber, bis auf eine Runde wieder an die Sieger
heranzukommen.
„Raube das Licht aus dem Rachen der
Schlange!“ – Hans Carossa
Claudio de Ceola -
3.12.2002 – Überarbeitet 13.7.2003
Kontakt:
E-Mail:
Glueckstropfen@Lolabrennt.de