Als Bohumil Hrabals „Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene“ – ein einziger Satz, der sich über 88 Seiten hinzieht – auf deutsch erschienen, urteilte ein Kritiker: „Eine literarische Lustbarkeit“. Ein neuer Erzähler war entdeckt, ein Fabulierer, der die Tradition eines Jan Neruda und Jaroslav Hasek eigenwillig fortsetzt. Auf die „Tanzstunden“ folgen andere Erzählungen: „Die Bafler“ und „Scharf bewachte Züge“. Später dann der Glücksfall eines Romans und Weltbestseller: „Ich habe den englischen König bedient.“

Im Jahr 1999 wurde das erste Hrabal-Museum in Nymburk eröffnet und es erschien eine sehr lesenswerte Hrabal-Biographie von Monika Zgustova: „Im Paradiesgarten der bitteren Früchte“.

Lachen und Weinen verfilzen sich bei Hrabal wie in einem Gestrüpp, das er bei seinen geliebten Gängen in die Natur beobachten konnte. Verhaktes Dickicht, vereint in seiner Widersprüchlichkeit, bildet ein Modell der Wirklichkeit ab, wie es in der bildenden Kunst bei Jackson Pollok – den Hrabal nicht zufällig sehr geschätzt hat – wieder auftaucht.

Monika Zgustova zitiert Hrabal zu dieser Grundeinstellung: „Im Grunde bin ich ein optimistischer Pessimist und ein pessimistischer Optimist. Ich bin amphibisch, doppelgehäusig. Das Lachen von Rabelais, das Weinen von Heraklit. Das große JA und das große NEIN gehören nämlich zusammen...“

Bohumil Hrabal, der promovierte Jurist, hatte in seinem Leben viele Berufe unter Wert durchgestanden, und als einfacher Arbeiter in den Poldi-Stahlwerken hatte er eine entscheidende Antwort für seine Lebensfragen nicht nur entdeckt, sondern erlebt. Bei dieser Arbeit erkannte er, daß man sich selbst nur verstehen kann, wenn man die anderen begreift.

 

Ich stelle Ihnen hier eine Geschichte von Bohumil Hrabal vor, die ich immer dann lese, wenn ich in Deutschland bin und es regnet und wenn ich keine Flasche tschechisches Bier mehr finde.

Pujdeme na pivo!- PLATAN!

Diese Erzählung handelt von Bier, Gasthäusern, Straßenbahnen, Frauen und Motorrädern und ist aus dem „vollen Leben“ Prags gegriffen. Sie dürfte auch manchen Hrabalians unbekannt sein.

 

Zum grünen Baum

Seit die 13 vorm Gasthaus „Zum grünen Baum“ die Kurve nicht mehr gekriegt hatte und durchs Fenster bis vor die Bierhähne gerumst war, seit damals blieben viele Gäste aus. Was Herrn Chlumecký, den Gastwirt, freilich nicht störte, ihn freute so oder so morgens beim Erwachen der Gedanke ans Einschenken seines ersten Bieres am meisten. An diesem Tag genehmigte er sich einen Schnitt nach dem anderen, dazwischen trat er immer wieder an die Glastür, um die seltsame Todesanzeige zu lesen: Ich teile allen meinen Bekannten mit, daß ich, Julie Kadavá, Fachlehrerin, im Alter von 67 Jahren gestorben bin. Mein Begräbnis findet am 16. September 1961 um 15 Uhr auf dem Friedhof von Dáblice statt. (Das Datum war mit Bleistift nachgetragen.) Unterschrieben hatte die Selige selbst: Julie Kadavá, Fachlehrerin. Jedesmal, wenn Herr Chlumecký zu Ende gelesen hatte, schüttelte er den Kopf, kehrte zu den Bierhähnen zurück und breitete die Arme darüber. Dann ließ er sich einen Schnitt einlaufen, trank ihn in einem Zug aus und spülte das Glas sofort im Becken.

Es wurde bereits dunkel, aber der Wirt machte kein Licht.

Die beiden einzigen Gäste saßen gleich neben der Kellertür mit dem Rücken zur Wand, für den Fall, daß die Dreizehn noch einmal in den Schankraum rumsen sollte. Sie plauderten.

„Wieviel Stufen sinds im Bei Pasovskýs“? fragte der eine.

„Sieben“, antwortete der andere. „Aber wieviel Stufen sinds im Bei Kalendas?“

„Bei Kalendas ... Bei welchem? Wir haben Bei Kalendas neben der Akademie und Bei Kalendas am Kai.“

„Um Himmels willen! Die Kneipe Bei Kalendas neben der Akademie ist doch längst geschlossen, also nur noch Bei Kalendas gegenüber dem Personenhafen, oder?“

„Moment mal. Da ham wir eine, zwei, drei, vier, fünf...“ zählte der Gast die Wirtshausstufen, „das wären zusammen sieben Stufen, und die geht man dort hinunter. Aber wieviel Stufen sinds Zur guten Quelle?“

„Eine hinauf. . . Aber wieviel sinds zu den Roten Herzen . . .?“

Während sich die Gäste derart weiter unterhielten, trat der Wirt wieder an die Tür. Vom Kreuz her kam die 14 angerattert, beleuchtet wie ein Restaurant und als wollte sie sich geradewegs in den Schankraum des Grünen Baums stürzen, das ganze Lokal erstrahlet, doch im letzten Augenblick zuckte der Motorwagen zurück und drehte ruckartig im rechten Winkel ab, nur der schmale Gehsteig hatte ihn noch von den Fenstern getrennt, und gleich danach erfüllten die drei Anhängerwagen, diese beleuchteten Aquarien, die Schenke erneut mit strahlendem Licht. . .

Da näherte sich auf dem Gehsteig der Schwager des Herrn Chlumecký. Erfreut öffnete der Wirt die Tür:

„Mensch, was treibst du hier? Mußt ja grad die Kette durchgebissen haben, um aus eurem Pomukl in die Stadt zu kommen?“

„Und du Pandur, wann kommst du wieder mal anmarschiert? Marka weiß schon gar nicht mehr, wie du ausschaust“, erwiderte der Schwager und nahm Platz.

„Anmarschiert werde ich nicht kommen“, sagte der Wirt und schenkte ein Glas voll, „aber angefahren. Ich kauf mir nämlich ein Moped.“

„Du?“ Der Schwager stand auf und tätschelte das Bäuchlein des Wirtes. „Mit dieser Schwarte?“

„Jaaa, sagte der Wirt gedehnt, genehmigte sich einen Schnitt, trank ihn genüßlich aus und spülte sofort das Glas.

„Weißt schon, man muß was für seine Gesundheit tun, ich bin bloß noch ein Schatten.“

„Ich weiß ja, aber von einem Zirkuszelt“, meinte der Schwager. „Paß auf, Frantisek, kauf dir kein solches Ding. Wie oft habe ich die schon daliegen sehen. Ich fuhr mal mit der 13, und dort bei Scholers lag so ein Irrer wie du, das Motorrädchen neben ihm, die Speichen drehten sich noch, das eine Rad hin, das andere her, aufs Gesicht hatten sie ihm die Morgenzeitung gelegt. Das Motorrädchen war wie eine zertretene Krippe, und die Polizei malte mit Kreide einen Kreis um die Bescherung.

Kauf dir das verrückte Ding nicht, kauf es nicht, hör auf deinen Schwager, kaufs nicht.“

„Aber es ist doch nur ein bißchen größer als ein Fahrrad. . .“

„Gerade so ein Fürzchen kann ein Mistvieh sein. Da, wo die 3 von der Vlachovka hinauf abbiegt, dort haben wir mal eine dicke Mopedfahrerin vernudelt. Alles war hin, samt der vollen Einkaufstasche. Ich habe die Fahrtregler und die Bremsen festgezogen, aber hingegangen bin ich nicht. Nicht um viel hätte ich mir das angeschaut. Mir reichte der eine leise Wimmerer von ihr . . . Und wie ich so hinterm Anhänger dastehe, rauche und warte, bis die Kommission erscheint – dort geht’s leicht bergab -, kommt doch tatsächlich in der Schienenrille Milch geflossen und danach Blut.“

„Weswegen ich mir ein Auto zu kaufen hätte, nicht wahr?“ bemerkte gereizt der Wirt, trat wieder an die Glastür, trommelte an die Scheibe und beobachtete wie die 10 vom Kreuz herabfuhr. Sie beschnupperte fast die grün getünchte Hauswand, überlegte es sich jedoch, bog ab und tapezierte mit ihrem gelben Licht das ganze Lokal . . . Unmittelbar dahinter folgte die 12. Die Schaffnerin der 10 stand auf der hinteren Plattform und zeichnete ein Fragezeichen in die Luft, worauf der Wagenführer der 12 traurig die Hand hob und drei Finger zeigte, um anzudeuten, daß er noch dreimal hin und zurück fahren müßte, bevor es in die Remise ging . . . Die Schaffnerin nickte betrübt, zum Zeichen, daß sie den Wagenführer der 12 bedauerte, dann lachte sie, zeigte einen einzigen Finger und zog einen langen Gedankenstrich, um anzudeuten, daß sie schrecklich froh war, nur noch eine Tour machen zu müssen und anschließend nach Hause fahren zu können . . .

Inzwischen hatte der Schwager weitergeredet.

Jetzt schloß er:

„Das sind so Sachen! Bis Mitternacht könnte ich dir weitererzählen. Autos sind akkurat die gleichen Mistviecher, auch wenn sie vier Räder haben. Vor der Wirtschaft zum Kanonenkreuz ist uns zwischen die 5 und die 12 mal ein Skoda-Minor geraten, und schon war er wie eine zerknüllte Zeitung. Zwei Frauen drin! Die Fahrerin hatte die Kurve schneiden wollen, schaffte es aber nicht. Nachher mußte man die beiden mit Haken stückchenweise rausziehen. Ein Stückchen in den einen Sarg, ein Stückchen in den anderen Sarg, damits ungefähr zwei Frauen gibt. Woher – ein Auto!“

„Somit hätte ich zu Fuß zu gehen!“

„Zu Fuß gehen ist besser, bloß darfst du keinen Wurm im Hirn haben!“ erklärte der Schwager und verdrehte den Kopf. „Frantisek, es ist unglaublich, wieviel Fußgänger uns schon unter die Straßenbahn gerannt sind. Auf brettebener Straße! Es gibt Leute, die stehen am Gehsteigrand, schauen sich um, und wenn sie sehen, daß die Bahn kommt, sagen sie sich offenbar: Jetzt stimmts. Und hopp, drunter! Einmal, bei der „Slawischen Linde“, ist mir der Kontrolleur selber unter die 9 gerannt, als er sich einen Fahrscheinaufsammler schnappen wollte.

. . . . .

SKODA! – DAS WERDE ICH NOCH ZU ENDE SCHREIBEN!

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