WIE DER L Ö W E  A L O I S UNTER DIE SCHAFE

GERIET, UND WAS DABEI HERAUSKAM.

VIERSTIMMIG ALS SPRECHGESANG MIT

GITARREN- UND SAXOPHONBEGLEITUNG AUFZUFÜHREN.

Frei nachGUSTAV MEYRINK

Mit vielen Neuinterpretationen und Ergänzungen von Claudio de Ceola

 

Aus dem Zyklus Animal Farm - GEDICHTE-LIEDER-GESCHICHTEN aus dem Schweineohr

 

Seine Mutter war im Fürstentum Tamanguria als Schönheitskönigin bekannt geworden. Er war ihre Erstgeburt. Sie hatte ihn geboren und war sofort gestorben. Vergebens hatte er versucht, mit seinen runden Pfoten, die so weich waren wie Puderquasten, sie aufzuwecken, denn er verschmachtete vor Durst in der sengenden Mittagsglut.

„Wie die Sonne frühmorgens die Tautropfen schlürft, wird sie auch sein Leben austrinken“, gluckerten pathetisch die wilden Pfauen oben auf der Tempelruine, machten Prophetengesichter und schlugen rauschend stahlblau schimmernde Räder. Und wäre nicht die Schafherde des Prinzen des Weges gezogen, hätte es auch so kommen müssen.

Da aber wendete sich das Schicksal.

„Hirten haben wir nicht, Tamanguria sei Dank, die uns dreinreden dürfen“, meinten die Schafe übereinstimmend- „warum sollen wir also nicht diesen jungen hübschen Löwen mitnehmen? Und die Witwe Bammel nimmt ihn gewiß gern, erziehen ist ja ihre Leidenschaft. Seit ihr Ältester nach Nymburk geheiratet hat- (die Tochter des gräflichen Oberwidders) - fühlt sie sich sowieso ein bisschen einsam.“

Frau Bammel sagte kein Wort, nahm das Löwenjunge zu sich, säugte und hegte es - neben Gloria, ihrem eigenen Kind.

Nur der Herr Schnucke Schärpling aus Bangladesh - schwarz gelockt und mit krummen Hinterbeinen - war dagegen. Er legte den Kopf schief und sagte apathisch: „Das ist nicht sozialverträglich, was soll das nur werden“, aber weil er immer alles besser wusste und doch nie recht hatte, kümmerte sich niemand um seine Meinung. Der kleine Löwe wuchs erstaunlich, wurde bald getauft, und erhielt den Namen: „ALOIS BAMMEL-LOEWE“. Frau Bammel stand dabei und fuhr sich ein ums andere Mal über die Augen.

Der Standesbeamte trug ihn ins Geburtsregister ein mit drei Kreuzen und einem Fragezeichen hinter dem Familiennamen - also so: XXX?

Das war der Hinweis für das Sozialamt nach dem Vater zu suchen, um den Unterhalt einzuklagen.

Alois’ Kindheit floss dahin wie ein Bächlein.                                                 - 1 -

Er war ein guter Junge, und nie gab es - von gewissen Heimlichkeiten vielleicht abgesehen - Grund zur Klage. Es war rührend anzusehen, wie er heißhungrig mit den anderen weidete und die Schafgarbe, die sich ihm widerspenstig immer um die langen Eckzähne legte, in kindlicher Unbeholfenheit mühsam zerkaute.

Jeden Nachmittag ging er mit klein Gloria, seinem Schwesterchen, und ihren Freundinnen ins Bambusgehölz spielen, und da war des Scherzens und der Freuden kein Ende.

Alois hieß es dann immer, Alois zeig mal deine Krallen, bitte, bitte, und wenn er sie recht lang herausstreckte, erröteten die kleinen Mädchen, steckten kichernd die Köpfe zusammen und sagten: „Ffuih, wie unanßständlich“, aber sie wollten es doch immer wieder sehen.

Zur kleinen schwarzhaarigen Suzana, Schnucke Schärplings lieblichem Töchterlein, entwickelte sich in Alois frühzeitig eine tiefe Herzensneigung. Stundenlang konnte

er an ihrer Seite sitzen, und sie bekränzte ihn mit Vergissmeinnicht.

Waren sie ganz allein, so sagte er ihr voller Glück das wunderschöne Gedicht auf:

 

                        WILLST DU NICHT MEIN LÄMMLEIN HÜTEN,

                        LÄMMLEIN IST SO FROMM UND SANFT,

                        NÄHRT SICH VON DES GRASES BLÜTEN

                        SPIELEND AN DES BACHES RANFT.

 

                        BLICKT ZUM HIMMEL INNIG- LIEBLICH,

                        KAUT MELODISCH GRAS DAZU,

                        IST SO ZART UND WOLLIG- GLÜCKLICH

                        UND SO FROH WIRST BALD AUCH DU!

 

Und sie vergoss dabei Tränen tiefster Rührung.

Dann trollten sie wieder durch das saftige Grün, bis sie umfielen.

Kam er abends erhitzt vom kindlichen Spiel nach Hause, sagte Frau Bammel, seine Mähne nachdenklich betrachtend, immer nur: „Jugend hat keine Tugend“, - und - „Junge wie du heute wieder mal unfrisiert aussiehst!“ (Sie hatte so ein gutes Herz.)

Alois reifte zum Jüngling, und das Lernen war seine Lust. Er hatte die Worte seines Ziehvaters verstanden und verinnerlicht: „Nicht für das Leben lernen wir, wir lernen für den Staat.“ In der Schule war er allen ein Vorbild, glänzte stets durch Fleiß und gutes Betragen, - und im Singen und im Religionsunterricht hatte er durchweg eine 1+.

„Nicht wahr, Mama“, sagte er immer, wenn er mit einem Lob des Lehrers heim-

kam, „nicht wahr, ich darf später auf die Schule für den Öffentlichen Dienst?“ - 2 -

Da musste sich jedes Mal Frau Bammel abwenden und eine Träne zerdrücken.  „Er weiß ja nicht, der gute Junge“, seufzte sie, „dass dort nur ganz echte Schafe aufgenommen werden“, - streichelte ihn, zwinkerte verheißungsvoll mit den Augen und sah ihm gerührt nach, wenn er hochaufgeschossen, wie er war, mit dem ein wenig dünnen Hals und den weichen X-Beinen der Flegeljahre wieder hinaus an  

seine Schulaufgaben ging.

 

Der Herbst zog ins Land, da hieß es eines Tages: Kinder, vorsichtig sein, und ja nicht zu weit außerhalb spazieren gehen, besonders nicht in der Dämmerung, wenn die Sonne zu sinken beginnt, - wir kommen jetzt in gefährliches Gebiet. Der amerikanische Löwe - nämlich - mordet und würgt dort -  und am liebsten Schafe.

Und immer wilder wurde das Pandschab und immer finsterer das Gesicht, das die Landschaft in den Horizont schnitt.

Die steinernen Finger der Berge von Kabul krallen sich in die Niederungen, - der Bambusdschungel starrt wie gesträubtes Haar, und auf den Sümpfen treiben träge die Fiberdämonen mit lidlosen Augen und atmen vergiftete Wolken von   Mückenschwärmen in die wabernde Luft. Das grau-grüne Gras girrte grauslich. -Die Herde zog durch einen Engpass, ängstlich und schweigend. Hinter jedem Fels lauerte das Grauen. Todesgefahr!

Da machte ein hohler, schauerlicher Ton die Luft beben, - in wilder besinnungs-loser Flucht stürmte die Herde davon. Hinter einem Felsblock hervor schoss ein breiter Schatten gerade auf Herrn Schärpling los, der nicht rasch genug vorwärts kam.

EIN RIESIGER ALTER LÖWE!

Herr Schärpling wäre rettungslos verloren gewesen, hätte sich nicht in diesem Augenblick etwas merkwürdiges ereignet. Mit Gänseblümchen bekränzt, ein Sträußchen Veilchen hinter dem Ohr, kam ALOIS MIT SCHMETTERNDEM „MÄÄH - BÄÄH“ IM VOLLEN GALOPP VORBEI.

Als hätte vor ihm der Blitz eingeschlagen, hielt der alte Löwe im Sprung inne und stierte in maßlosem Staunen dem Fliehenden nach.

Lange konnte er keinen Laut hervorbringen, und als er endlich ein grollendes, wütendes Gebrüll ausstieß, antwortete ihm Alois’ „MÄÄH - BÄÄH“ schon aus weiter Ferne.

Eine ganze Stunde noch stand der Alte in tiefem Grübeln; alles, was er je über Sinnestäuschungen gelesen und gehört hatte, ließ er an seinem Geist vorüberziehen. VERGEBENS!

Die Nacht fällt rasch und kalt vom Himmel im Pandschab; fröstelnd warf der Löwe den Schal um die Mähne und ging zu seiner Höhle. Jedoch, er konnte keinen Schlaf finden, und als das gigantische Auge des Vollmondes weißlich durch die Wolken

starrte, brach er auf und setzte der geflohenen Herde nach.                     - 3 -

Gegen Morgengrauen erst fand er Alois - die Blumenkränze noch im Haar - süß schlummernd hinter einem Strauche.

Er legte ihm die Pranke auf die Brust, und mit entsetztem „BÄÄH“ fuhr Alois aus dem Schlafe.

„Sie, so sagen Sie doch nicht immer „B ä ä h“. Sind Sie denn wahnsinnig? Sie sind doch ein Löwe, um Gottes willen“, brüllte ihn der Alte an.

„Da irren Sie, bitte“, -  antwortete Alois schüchtern, „ich bin ein Schaf.“

Der alte Löwe schüttelte sich vor Wut; „Sie, - wollen Sie mich vielleicht veralbern?! Frozzeln Sie meinetwegen Hans Herpes oder erzählen Sie das der Frau Süßmaul - - -.“

Alois legte die Tatze beteuernd aufs Herz, blickte dem riesigen Löwen treuherzig ins Auge und sagte tiefbewegt:

„MEIN EHRENWORT, - ich bin ein Schaf!“

Da entsetzte sich der Alte, wie tief sein Stamm gesunken, und ließ sich Alois’ Lebensgeschichte erzählen.

„Das alles“, meinte er dann, „ist mir zwar gänzlich schleierhaft, aber daß Sie ein Löwe und kein Schaf sind, steht fest, und wenn Sie’s nicht glauben wollen – zum Teufel - so vergleichen Sie doch unsere beiden Bilder hier im Wasser. Und jetzt lernen Sie zuerst einmal anständig brüllen, schauen Sie - so:

„UUUAAH, UUUUAAH!“

Und er brüllte, dass die Oberfläche des Weihers ganz rieselig wurde und aussah wie Schmirgelpapier. „Also, jetzt versuchen Sie’s, es ist ganz leicht.“

„Uhah“, setzte Alois schüchtern an, verschluckte sich aber und musste husten.

Der alte Löwe blickte ungeduldig zum Himmel auf: „Na ja, meinetwegen üben Sie’s wenn Sie allein sind, ich muss jetzt sowieso zurück.“

Er sah auf die Uhr: „Verdammt! schon wieder halb fünf! - Also Servus!“ Und  er salutierte flüchtig mit der Pranke und verschwand.

Alois stand wie betäubt ---: Also doch!!

Vor ganz kurzer Zeit erst hatte er das Abitur gemacht - hatte es sozusagen schriftlich bekommen, das er ein Schaf sei -- und jetzt!

Gerade jetzt, wo er in den Staatsdienst treten sollte!

Und -- und -- und Suzana! -

Er musste weinen -- Suzana!!

So schön hatten sie alles miteinander vereinbart, wie er vor Papa und Mama hintreten sollte usw.

Lebendig zogen die Ereignisse der letzten Tage vor seinem inneren Auge vorüber: Wie er auf einem Spaziergang Herrn Schärpling über sein blühendes Aussehen und seine Position Komplimente gemacht hatte: „Herr Schärpling, wie Sie mit eigenen Händen den ganzen Balkan befriedigt haben und die Probleme in  - 4 -

Palästina beseitigt, das muß Ihnen erst mal einer nachmachen.“

-- „Ach ja, das habe ich gemacht.“ -- Hatte Herr Schärpling etwas zögerlich geantwortet, ihn aber dabei so seltsam  von der Seite angesehen. „Sollte ich am Ende etwas Dummes gesagt haben?“ hatte sich Alois damals gedacht -- „aber man spricht doch so allgemein ----.“

Ein Geräusch schreckte ihn aus seinen Träumereien! -- Also alles, alles sollte jetzt zu Ende sein! Alois legte sein Haupt auf die Tatzen, zog seine Hinterbeine an sich und weinte lange und bitterlich.

Ein Tag und eine Nacht vergingen, da hatte er sich durchgerungen.  -

Übernächtigt, tiefe Schatten um die Augen, ging er zur Herde, trat mitten unter sie, richtete sich majestätisch auf und rief:     „UH  - -  HAH!“

Ein ungeheueres Gelächter brach los.

„Pardon, ich meine damit“, stotterte Alois verlegen -- ich meine damit nur --

ich bin nämlich ein Löwe.“ Ein Augenblick der Überraschung, allgemeine Stille, und wiederum erhoben sich großer Lärm, höhnische Worte, Warnungsrufe und lautes Lachen.

Erst als Dr. Simulantus, der Herr Pfarrer, hinzutrat und Alois in strengem Tone befahl, ihm zu folgen, legte sich der Tumult.

Es musste ein langes ernstes Gespräch gewesen sein, das die beiden miteinander führten, und als sie zusammen aus dem Bambusdickicht traten, da leuchteten des Predigers Augen in frommem Eifer. „Sei dössen eingedenk, mein Sohn“, waren seine letzten Worte, -- „mannigfaltig sind die Fallstricke des bösen Feindes! Tag und Nacht versucht ör uns, auf dass wir gögen den Stachel löcken, dörweilen wir im Fleische wohl wandeln allhier.

Siehe, das ist ös ja eben, wir alle sollten trachten, das Löwentum in uns nieder- 

zuwerfen und in Demut zu verharren, auf dass wir einen nojen Bund schließen  und unsere Bitten erhöret werden - hier zeitlich und dorthinnen öwiglich.

Und was du gesehen und gehöret gestern morgens dort am Weiher, das vergiss;

ös war nicht Wirklichkeit, -- war teuflisch Gaukelspiel dös bösen Feindes!

Eines noch, mein Sohn! Heiraten ist gut, und ös wird dir die finsteren Dünste des Fleisches vertreiben, die den Teufeln ein Wohlgefallen sind, so freie denn die Jungfrau Suzana und mehret euch ohn’ Zögern zahlreich wie der Sand am Meere.“

Er hob seine Augen zum Himmel, -- „das wird dir helfen, des Fleisches Bürde zu tragen und - - (hier wurde seine Rede zum Gesang):

LÄHR - NEE  ZU  LEI - DEEN    ---    OHHNÄH  ZU  KLAA - GEEN!“

Und dann schritt er von hinnen.

Alois’ Augen standen voll Tränen.

Drei Tage lang sprach er kein Wort, reinigte nur rastlos sein Inneres von allen Schlacken, und als ihm eines nachts im Traum eine Löwin erschien, die angab,  - 5 -der Geist seiner Mutter zu sein und die verächtlich dreimal vor ihm ausspuckte, da trat er am nächsten Tag erhobenen Hauptes vor den Herrn Pfarrer.

Er  jauchzte, daß nunmehr das Blendwerk der Hölle von ihm abgelassen habe, er das Denken nun bestimmt ganz und gar einstellen werde und sich blind der Leitung des Herrn Pfarrers und des Herrn Schnucke Schärpling anvertrauen wolle. Der Herr Pfarrer aber hielt in beredten Worten Fürsprache für ihn um die Hand der Jungfrau Suzana bei ihren Eltern.

Zwar wollte Herr Schärpling anfangs nichts hören und rief immer: „Wer weiß was in seinen Genen steckt, bald ist Bundestagswahl und wen wird er wählen?“

Aber schließlich fand seine Gattin den Schlüssel zu seinem Herzen:

„Schärpli“, sagte sie- „Schärpelilein, was willst du eigentlich, was hast du gegen Alois? Schau - er ist doch BLOND!“ –

U N D  T A G S  D A R A U F  W A R  HOCHZEIT.

BÄÄH!  MÄÄH!

1. Juni 2000 - geändert 13.3.2001 -  CLAUDIO DE CEOLA

 

E-Mail: MEYRINK@LOLABRENNT.DE       - 6 -

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