VOM GROSSEN ZORN DIESER REPORTER

Egon Erwin Kisch - Auszug

 

Eines Tages ereignete sich auf dem Karlsplatz eine besonders komplizierte Begebenheit: der Balkon eines Hauses brach ab, zwei Personen stürzten auf die Straße, infolgedessen scheute ein Gespann und überfuhr eine schwangere Frau. Wie angegossen hätte hier der altbewährte Titel „Ein tragischer Vorfall“ gepaßt, aber Regierungsrat Krizanek, der sich die Vorwürfe seines Chefredakteurs zu Herzen genommen hatte, wollte diesmal eine besonders originelle Schlagzeile finden. Lange ging er nachdenklich auf und ab. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, er rieb sich befriedigt die Hände, setzte sich hin und schrieb den Titel: „Unfall“.

So tief die Lokalreporter auf der Rangliste des Journalismus figurierten, noch unter ihnen standen die Melder, die mit mündlichen Mitteilungen oder mit amtlichen Verzeichnissen auf die Börse (Redaktionskonferenz ist gemeint) kamen; einer mit den Resultaten der Lottoziehungen, ein anderer mit Besitzwechseln, den Käufern und Verkäufern die im Grundbuch eingetragen wurden, ein dritter - als „Redakteur der Toten“ bekannt - mit den beim Sterbeamt und der Beerdigungsbrüderschaft gemeldeten Namen der Verstorbenen. Stellungslose Journalisten brachten Nachrichten, die sie zufällig erfuhren.

Einer von ihnen war Jaroslav Hašek, später Autor des tschechischen Don Quichote, des Romans „Der brave Soldat Schwejk“. Jaroslav Hasek erzählte in erfunden Humoresken und wollte sie als Nachricht geglaubt wissen. Jaroslav Hasek zufolge war heute nachmittags in der Moldau ein Menschenhai aufgetaucht und hatte durch Schläge seiner Schwanzflosse ein Fischerboot umgeworfen. Jaroslav Hasek zufolge hatten gestern nachts in einem Tanzlokal nahe dem Pathologischen Institut zwei betrunkene Leichenträger, weil keine Mädchen mit ihnen tanzen wollten, eine Frauenleiche von der Bahre genommen und mit ihr bis zum Morgengrauen Walzer getanzt. Jaroslav Hasek zufolge kam heute um vier Uhr morgens eine in der Korngasse wohnende Gemüsehändlerin neben ihrem Hause an einem nackten, am Unterleib verletzten Mann vorüber, der an einen Kandelaber gefesselt war; sie eilte, einen Mantel zu holen. Als sie zurückkehrte war der Unbekannte verschwunden. Jaroslav Hasek zufolge hatte heute ein fünfjähriger Knabe einem anderen die Nase abgebissen und verschluckt; der Vater des Opfers sei auf der Suche nach seines Sohnes Nase. Jaroslav Hasek zufolge war der Gastwirt des Dorfes Sazavice ein Knabe mit einem vier Zentimeter langen Schnurrbart geboren worden. Mutter und Kind befinden sich wohl.

Vier Glas Pilsener Bier verlangte Jaroslav Hasek für jede seiner Informationen.

Wollte sie niemand haben, so ging er mit dem Preis herunter, lehnte man sie auch dann ab, hielt er Vorträge, in denen er parallele Ereignisse aus der Weltgeschichte

produzierte, um die Glaubhaftigkeit seiner Nachricht zu unterbauen. Dabei trank er mindestens fünf Glas Pilsner, die selbstverständlich wir zu bezahlen hatten.

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